Südtirol - Alpine Flora inmitten der Dolomiten

Die erstmalig 1996 durchgeführte Exkursion führt nach Südtirol in den Raum Tiers/Seiseralm. Geprägt durch die Vielfalt der kalkhaltigen Standorte und das Tourenprofil, welches von der collinen bis in die subnivale Stufe reicht, ist eine atemberaubende Artenvielzahl zu bewundern. Ein Abstecher in die westlich der Brenner-Autobahn gelegenen Sarntaler Alpen demonstriet den Unterschied der Flora zwischen Kalk- und Urgestein, nachdem zuvor jedoch bei einem Besuch Bozens Gelegenheit zur Entspannung bestand. Aus botanischer Sicht sicherlich eine einmalige Exkursion, die allerdings körperlich hohe Anforderungen an die Exkursionsteilnehmer stellt, da während der vier Tage Anstiege von insgesamt 5.000 Höhenmetern bewältigt werden müssen.

Zu Beginn des ersten Tages erfolgt die Anreise von Tiers zum Nigerpaß, wo dann zunächst kein großer Anstieg sondern nur eine Schlange am Lift zu überstehen ist. Dieser führt zur etwa 2.400 m hoch gelegenen Kölner Hütte und damit sogleich in die alpine Stufe. Entlang des Wegrandes finden sich mit der Achtblumenblättrigen Silberwurz (Dryas octopetala), dem Zwerg-Baldrian (Valeriana supina) und dem Rhätischen Mohn (Papaver rhaeticum) auffallende und typische Arten dieser Höhenstufe. Bei einem ersten Halt unweit des Weges finden sich sehr bald Edelweiß (Leontopodium alpinum), das polsterbildende Stengellose Leinkraut (Silene acaulis ssp. longiscapa), Alpen-Küchenschelle (Pulsatilla alpina ssp. alpina) sowie Frühlings- und Stengelloser Enzian (Gentiana vernalis, G. clusii). Im weiteren Verlauf des Weges um das Rosengartenmassiv tauchen immer wieder neue, vielen sicher zugleich unbekannte Arten auf. Zu diesen zählen u. a. Alpen-Fettkraut (Pinguicula alpina) und Dünnsporniges Fettkraut (P. leptoceras), Steinröschen (Daphne striata), Dolomiten-Schafgarbe (Achillea oxyloba), Bach-Steinbrech (Saxifraga aizoides), Dolomiten-Fingerkraut (Potentilla nitida), Herzblättrige Kugelblume (Globularia cardifolia), Südlicher Traganth (Astragalus australis) und Rosarotes Läusekraut.

Während die Hälfte der Tour auf einem Höhenweg bestritten wurde, der nur mit relativ moderaten Anstiegen aufwartete, entwickelt sie in der Zweiten Hälfe ihren sportlichen Charakter. Nachdem bereits zwei Sattel zu überwinden waren, sind dann am Tschager Joch die ersten 1.000 Höhenmeter vollendet. Traumhafte Fernsichten sowie Blicke in die gewaltigen Seitentäler des Rosengartenmassivs, evtl. auch der Anblick einiger Gemsen, entschädigen neben den botanischen Erlebnissen von den Anstrengungen des Tages.

Auf der zweiten Tagestour wird bereits auf den Komfort der Liftbenutzung verzichtet. Startpunkt ist der ca. 900 m hoch gelegene Tierser Ortsteil St. Cyprian, von dem der Weg kontinuierlich ansteigend in eine Höhe von etwa 2.650 m am Passo Molignon führt. Am Wegrand des zunächst entlang des Tschamin-Baches verlaufenden Weges sowie auf kleinen Wiesen am Rande des Weges finden sich eine Reihe von für die colline und montane Stufe typischen Arten. Zu diesen zählen mit dem Breitblättrigen Knabenkraut (Dactylorhiza majalis), der Zweiblättrigen Kuckucksblume (Platanthera bifolia), dem Zweiblatt (Listera ovata), der Mücken-Händelwurz (Gymnadenia conopsea), der Hohlzunge (Coeloglossum viride) und der Nestwurz (Neottia nidis-avus) eine Reihe von Orchideen. Weitere bemerkenswerte Arten dieser Höhenstufe sind Kelch-Simsenlilie (Tofielda calyculata), Dunkle Akelei (Aquilegia atrata), Kugelige Teufelskralle (Phyteuma orbiculare), Vierblättrige Einbeere (Paris quadrifolia) und Alpen-Waldrebe (Clematis alpina).

Nach einer Wegkreuzung ändert sich plötzlich der Charater des Weges: aus dem allmählich ansteigenden Weg wird ein in Serpentinen steil aufwärts führender Pfad. Damit erfolgt gleichfalls ein schneller Wechsel in die subalpine und alpine Stufe. Bäume verschwinden, zunächst durch Krummholz und später nur noch durch Zwergsträucher ersetzt. Die zuvor genannten Kräuter werden ersetzt durch Arten wie die Alpenwucherblume (Chrysanthemum alpinum) und die Großblütige Gemswurz (Doronicum grandiflorum), wobei sich gleichzeitig der grandiose Blick in den Grasleitenkessel mit der an seiner Mündung gelegenen gleichnamigen Hütte ergibt.

Im Anschluß an die Pause sind nochmals alle Kräfte erforderlich, um den Weg durch den Grasleitenkettel hinauf zum in einer Höhe von etwa 2.650 m ü.N.N. gelegenen Passo Molignon zu bewältigen. Inmitten der Geröllfelder findet sich immer wieder Zwergbaldrian (Valeriana supina), Breitblättriges Hornkraut (Cerastium latifolium) und zuletzt, bereits in der subnivalen Zone, fast nur noch die Gemskresse (Hutchinsia alpina).

Von diesem höchsten Punkt geht es dann fast nur noch bergab, zunächst zu dem noch immerhin 2.440 m hoch gelegenen Schutzhaus Tierser Alpl, das zugleich Gelegenheit für eine letzte Rast bietet, und anschließend dann hinab in's Tschamin-Tal und dann nach St. Cyprian. Infolge der Anstrengungen der zurückliegenden Stunden fehlt dann für Arten wie dem Grünen Alpendost (Adenostyles glabra) oder der Quirlblättrigen Weißwurz (Polygonatum verticillatum) meist der Blick.

Nach den Strapazen der ersten zwei Touren ist der dritte Tag in nahezu jeder Hinsicht ein Ruhetag. Ziel sind die auf der westlichen Seite der Brenner-Autobahn gelegenen Sarntaler Alpen, welche im Gegensatz zu den kalkhaltigen Dolomiten überwiegend aus Granit- und anderen Urgesteinen bestehen und demzufolge eine andere Vegetation aufweisen. Zuvor besteht jedoch die Möglichkeit der Entspannung bei einem Stop in Bozen. Dank einiger historischer Bauten, des pulsierenden Straßenhandels, insbesondere mit Agrarprodukten der Region, und zahlreichen Straßenlokalen vergeht die Zeit in der bereits fast mediterran anmutenden Stadt recht schnell.

Die sich anschließende Autofahrt führt zum Penser Joch als nahehzu in der Mitte der Sarntaler Alpen gelegenem Paß. Auffallend im Verlaufe der Fahrt ist der andersartige Charakter der Landschaft: anstelle der durch Zacken und Türmchen geprägten Felsen wartet das Gebirge mit wuchtigen, zuweilen schroffen Felsformationen auf.

Da infolge der schweren Beine ausgedehnte Wanderungen nicht möglich sind und zudem Kraft für den letzten Tag gesammelt werden muß, erfolgt die Erkundung der Landschaft ausgehend vom bereits in der alpinen Stufe gelegenen Penser Joch. Auffallendste Pflanze wie auch in den Dolomiten die Alpenrose, hier jedoch die Rostrote Alpenrose (Rhododendron ferrugineum) im Gegensatz zur Behaarten Alpenrose (Rh. hirsutum) der Dolomiten. In der Krautschicht finden sich die beeindruckende Berg-Hauswurz und Bach-Hauswurz (Sempervivum montanum und S. tectorum), das Gemeine Katzenpfötchen (Antennuaria dioica) und die Moschus-Schafgarbe (Achillea moschata). Neben der Alpenrose wird die Strauchvegetation durch weitere Ericaceen dominiert, wozu sowohl die weitverbreitete Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) und Rauschbeere (Vaccinium oxycoccus) als auch die inzwischen in Mitteleuropa seltene Bärentraube (Arctostaphylos uva-ursi) zählen.

Am letzten Tag schließlich folgt die "Königsetappe", auf der Anstiege von insgesamt etwa 2.500 Höhenmetern absolviert werden müssen. Ausgangspunkt ist wiederum der Tierser Ortsteil St. Cyprian, von dem ausgehend es auf dem Weg zur "Bärenfalle" an diesem Tag sofort steil bergan geht. An diesen südlich ausgerichteten, trockenen Hängen findet sich eine z. T. wärmeliebende Gesellschaft mit der Wohlriechenden Händelwurz (Gymnadenia odoratissima), der Schwalbenwurz (Vincetoxicum hirundiana), dem Roten Seifenkraut (Saponaria ocymoides), dem Graugrünen Steinbrech (Saxifraga caesia), der Stein-Nelke (Dianthus sylvestris) und der Alpen-Akelei (Aquilegia alpina).
Im weiteren Verlauf des mehrmals hunderte Meter ab- und dann wieder aufwärts führenden Weges treten insbesondere einige interessante Korbblüter auf, darunter das (auch bereits auf der ersten und zweiten Tour häufig vorzufindende) Alpen-Maßliebchen (Aster bellidiastrum), welches in seinem Habitus und seinen Hauptsekundärstoffen so sehr dem Gänseblümchen (Bellis perennis) ähnelt, mit der Alpen-Aster (Aster alpinus) auch eine "echte" Aster, das Verkannte (Erigeron neglectus) und das Einblütige Berufkraut (Erigeron uniflorus), mit der Mehl-Primel (Primula farinosa) der priminreichsten Primeln.
Nach einer Zwischenstation am auf einer Hochebene bei 2.450 m ü.N.N. gelegenen Schlernhaus erfolgt anschließend der Abstieg zur Seiser-Alm, der höchstgelegenen Alm Europas. Eindrucksvoller könnte der Wechsel der Vegetation kaum ausfallen: bestimmten bislang zwischen allgegenwärtigen Felsen und Steinansammlungen gelegene Alpenrosen und Latschenkiefern das Bild, so bewegt man sich hier inmitten einer sanften Hügellandschaft mit ausgedehnten Wiesen, geprägt durch Arten wie Bergwohlverleih (Arnica montana), Kuckucks-Lichtnelke (Lychnis flos-cuculi), Kriechende Nelkenwurz (Geum reptans), Bärtige Glockenblume (Campanula barbata), Schwarzes Kohlröschen (Nigritella nigra) sowie dem stattlichen Punktierten Enzian (Gentiana punctata), welcher so verblüffend dem Gelben Enzian ähnelt.
Auf diesen botanischen Schlußpunkt folgt dann nur noch das sportliche Finale: auf dem Weg hinauf zur Roßzahnscharte werden nochmals alle Kräfte abverlangt, die jedoch nicht völlig ausgeschöpft werden dürfen, da noch der abschließende, etwa 1.500 Höhenmeter hinabführende Abstieg nach St. Cyprian zu bewältigen ist.


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