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Römische Kamille - Chamomillae romanae flos
[Ph. Eur. 7.0 (01/2008: 0380; revidiert: 6.0)]

Stammpflanze: Chamaemelum nobile (L.) ALL. / Römische Kamille [Fam. Asteraceae / Korbblütengewächse]. Synonyme: Anthemis nobilis L., Ormenis nobilis (L.) J. GAY ex COSS. & GERM. Weitere, ausschließlich in der älteren Literatur gebrauchte Synonyme sind Anthemis chamomilla-romana CRANTZ, Anthemis odorata LAM., Chamaemelum odoratum DOD., Chamomilla nobilis GOD., Leucanthemum odoratum EID. AP., Lyonnetia abrotanifolia WEBB., Matricaria nobilis BAILL. und Ormenis aurea R. LOWE. Dt. Synonyme: Dicke Granille, Dickköpfe, Doppelte Kamille, Edel Chamill, Gartenchamille, Gartenkamille, Gemeine Kamillen, Große Kamillen, Hemdknöpfe, Hemdknöpfchen, Kathreinenbläume, Kornelle, Kragengnebcher, Krampf-Kamille, Küh-Melle, Römische Hundskamille, Römischer Romey, Welsche Kamille, Wilde Gramille. Englisch:  English chamomile, garden chamomile, Garden-scotch, Ground apple, Low chamomile, noble chamomile, Roman chamomile, Russian chamomile, Small chamomile, Whig plant.

Botanische Beschreibung der Stammpflanze: Von Juli bis Oktober blühende, ausdauernde, niederliegende, 20 bis 50 cm hohe Pflanze mit stark aromatischem Geruch. Stengel rundlich, mit Längsfurchen und Haaren, sterile Sprosse kurz, mehr oder weniger niederliegend, blühende Sprosse mit ästig verzweigtem Blütenstand. Blätter wechselständig angeordnet, doppelt (bis dreifach) fiederschnittig, mit linealischen Zipfeln. Blütenköpfchen 2 bis 2,5 cm breit, einzeln endständig auf einem relativ langen Blütenschaft, mit Zungen- und Röhrenblüten. Hüllkelch halbkugelig, mit mehreren Reihen dachziegelig angeordneter, lanzettlicher bis spatelförmiger, breit häutig gesäumter Hüllblätter. Blütenboden kegelförmig, markig, mit länglichen Spreublättern, die eine abgerundete, gezähnelte Spitze aufweisen. Zungenblüten weiblich, silberweiß, ca. 7 cm lang, an der Spitze dreizähnig, Anzahl bei der Wildform 12 bis 18. Röhrenblüten zwittrig und gelb, bei der Wildform zahlreich, bei Kulturformen nur wenige oder ganz fehlend. Früchte ohne Pappus, ca. 2 mm lang, hell-bräunlich, fast dreikantig, mit Längsrippen und ansonsten glatter Oberfläche.

Verbreitung: Beheimatet in Süd- und Westeuropa sowie in Nordafrika (Marokko, Algerien) und auf den Azoren; auf der Iberischen Halbinsel im ganzen Norden, im Westen von Galizien bis zur Algarve, in Extremadura, beiden Kastilien, Aragon und im westlichen Andalusien. In Deutschland eingebürgert anzutreffen auf kiesigen Triften, an Rändern stehender Gewässer, aber auch an trockenen Standorten.

Droge: Die getrockneten Blütenköpfchen der kultivierten, gefülltblütigen Varietät von Chamaemelum nobile (L.) ALL., die einen Mindestgehalt an ätherischem Öl von 7 ml/kg (0,7 Prozent) aufweisen.

Beschreibung der Droge: Die Ganzdroge besteht aus den weißen bis gelblich grauen, einzeln stehenden, halbkugeligen Blütenköpfchen, die einen Durchmesser von 8 bis 20 mm aufweisen und fast ausschließlich Zungenblüten und nur wenige zentral stehende Röhrenblüten enthalten. Der gefüllte, kegelförmige Blütenboden trägt die Einzelblüten, von denen jede von einem durchscheinenden, kleinen Spreublatt begleitet wird. Der Hüllkelch besteht aus 2 bis 3 Reihen dicht dachziegelig angeordneter Hüllkelchblätter, die einen hautartigen Rand besitzen. Die weiblichen Zungenblüten sind mattweiß, lanzettlich und umgebogen. Sie besitzen einen unterständigen, dunkelbraunen Fruchtknoten, einen fadenförmigen Griffel und eine zweilappige Narbe. Die zwittrigen, blassgelben Röhrenblüten besitzen eine 5-zähnige Blütenkrone. Das Androeceum besteht aus 5 röhrenförmig verwachsenen, epipetalen Staubblättern, das Gynoeceum entspricht dem der Zungenblüten. Die Schnittdroge ist charakterisiert durch einzelne weißliche, ca. 7 mm lange, dreizähnige Zungenblüten, die vier mehr oder weniger parallel verlaufende Nerven und eine unregelmäßig dreizähnige Spitze aufweisen. Die Fruchtknoten sind gelblichbraun und relativ kurz. Weiterhin finden sich kleine hellgrüne, schmallanzettliche, trockenhäutige, strohige Hüllkelchblätter sowie Bruchstücke des Blütenbodens mit kleinen Spreublättern. Die kleinen gelben Röhrenblüten sind nur selten zu finden.

Geruch und Geschmack: Intensiver, charakteristischer, angenehmer Geruch und bitter aromatischer Geschmack.

Synonyme Drogenbezeichnungen: Deutsch: Römische Kamillen. Englisch: Chamomile flowers, English chamomile, Roman chamomile flowers. Lateinisch: Anthemidis flores, Anthemidis flos, Flores Chamomillae hortensis, Flores Chamomillae majoris, Flores Chamomillae nobilis, Flores Chamomillae odorati, Chamomillae romanae flores, Flores Anthemidis, Flores Chamomillae romanae, Flores Leucanthemi (romani), Flos Anthemidis.

Herkunft: Ausschließlich aus dem Anbau der zum überwiegenden Teil Zungenblüten besitzenden Varietät. Der Anbau erfolgt in Belgien, Frankreich, Italien, Polen, der ehemaligen Tschechoslowakai, den USA und Argentinien. Hauptlieferländer sind Frankreich, Polen und die ehemalige Tschechoslowakai.

Gewinnung der Droge: Die angebaute Droge wird zum überwiegenden Teil durch Stockteilung vegetativ vermehrt. Die Pflanzung erfolgt im Herbst oder im April bis Mai, die erste Ernte im Juni bis Juli und weitere Ernten in den nachfolgenden Monaten. Getrocknet wird bei Temperaturen bis maximal 35 in dünner Schicht. Kultiviert werden die Pflanzen im Durchschnitt bis zu einem Alter von drei Jahren.

Inhaltsstoffe: Ätherisches Öl: Gehalt 0,6 bis 2,4 %. Bestandteile des Öls sind überwiegend Ester der Angelika-, Tiglin-, Methacryl- und Isobuttersäure mit Isobutylalkohol, Isoamylalkohol und 3-Methylamylalkohol sowie weiteren kurzkettigen aliphatischen Alkoholen. Hauptkomponenten sind Isobutylangelat, Isoamylangelat und Isobutylbutyrat. Weitere, jedoch nur in geringer Menge anwesende Bestandteile des Öls sind Monoterpene wie z. B. α-Pinen, ß-Pinen, α-Charyophyllen (= Humulen) und ß-Caryophyllen sowie Sesquiterpene wie z. B. das nach Wasserdampfdestillation entstehende Chamazulen, welches für die Echte Kamille charakteristisch ist, sowie Farnesen, Bisabolen, Cadinen und Bisabolol. Sesquiterpenlactone: Charakterisiert durch einen bitteren Geschmack. Gehalt ca. 0,6 %. Insbesondere Verbindungen vom Germacranolid-Typ mit Nobilin und 3-Epinobilin als Hauptkomponenten. Hydroperoxide: Von Estern als auch Terpenen abgeleitete Verbindungen wie z. B. 1ß-Hydroperoxyisonobilin und 4-Hydroperoxyromanolid. Flavonoide: Hauptkomponenten sind die 7-O-Glucoside von der Flavone Apigenin und Luteolin, weitere Komponenten Apiin (Apigenin-7-apiosylglucosid), freies Kämpferol und verschiedene methylierte Flavonoidaglykone. Weitere Bestandteile: Hydroxyzimtsäurederivate, Cumarine (Scopolosid = Scopoletin-7ß-glucosid), Catechine, Polyine (u. a. cis- und trans-Dehydromatricariaester), die Triterpene ß-Amyrin und Pseudotaraxasterol sowie das Steroid ß-Sitosterol.

Wirkungen: Bisher liegen keine Ergebnisse pharmakologischer Untersuchungen oder klinischer Studien vor, in denen die Wirksamkeit von Römischer Kamille nachgewiesen wurde. Untersucht wurden bisher nur einzelne Fraktionen bzw. isolierte Substanzen. Dabei erwies sich das ätherische Öl als wirksam gegen grampositive Bakterien und Dermatophyten, nicht jedoch gegen verschiedene getestete Candida-Arten. Ebenfalls antibakteriell wirksam sind die aus dem ethanolischen Blütenextrakt isolierten Hydroperoxide. Nobilin und die Nobilinderivate 1,10-Epoxynobilin und 3-Dehydronobilin zeigten eine zytostatische Wirkung in einem in vitro-Modell mit menschlichen HeLa- und KB-Zellen, die Polyacetylene diuretische, zytotoxische und insektizide Wirkungen und das Apigeninderivat Chammaemelosid blutzuckersenkende Wirkung. Untersucht wurde ferner der Einfluss eines ethanolischen Extraktes auf Verhaltensaktivitäten der sozialen Aggression bei Mäusen. Aus den Ergebnissen wird auf das Vorkommen einer "antiagressiven" Substanz geschlussfolgert. Infolge des Studiendesigns ist diese Interpretation der Ergebnisse jedoch zweifelhaft.

Anwendungsgebiete: Infolge fehlender Wirksamkeitsnachweise nur volksmedizinisch angewendet.

Volkstümliche Anwendungsgebiete: Insbesondere in Frankreich, ferner auch in Belgien und Großbritannien, wird die Römische Kamille anstelle der Echten Kamille verwendet. [Anmerkung: Die Bedeutung der Droge in diesen Ländern ist die Ursache dafür, dass eine Monographie der Droge in das Europäische Arzneibuch aufgenommen wurde.] Wichtigste Indikationsgebiete sind dort Menstruationsbeschwerden sowie der Gebrauch als Karminativum bei Verdauungsbeschwerden wie Oberbauchblähungen, Darmträgheit, Aufstoßen und Darmblähungen. Weiterhin verwendet man Römische Kamille bei Nervosität, Hysterie und allgemeiner Schwäche. Äußerlich wird die Droge in Form von Aufgüssen, Abkochungen oder Kataplasmen zu Wundspülungen sowie Spülungen bei Schleimhautentzündungen im Mundbereich sowie in Form einer Lotion bei Zahnschmerzen- und Ohrenschmerzen angewendet. Ein Wirksamkeitsnachweis ist bisher für keines der genannten Anwendungsgebiete belegt. Allerdings erscheint der Gebrauch als Karminativum infolge des bitteren Geschmacks durchaus gerechtfertigt. Gleiches gilt für die Behandlung von Entzündungen und Wunden, da Sesquiterpenlactone im Allgemeinen eine potente antiphlogistische Wirkung aufweisen.

Gegenanzeigen: Bei bekannter Allergie gegen Römische Kamille oder andere Korbblüter darf die Droge nicht angewendet werden.

Unerwünschte Wirkungen: Es besteht ein mittelstarkes Risiko des Auftretens allergischen Reaktionen. Durch Blütenpollen, die in Teeaufgüssen enthalten sein können, sind anaphylaktische Reaktionen möglich. Einnahme eines aus einer Drogenmenge von 10 bis 20 g gewonnenen wässrigen Auszuges kann Erbrechen hervorrufen.

Wechselwirkungen mit anderen Mitteln: Keine bekannt.

Dosierung und Art der Anwendung: Zur innerlichen Anwendung werden 2 bis 3 g der fein zerschnittenen Droge (1 Teelöffel entspricht ca. 0, 8 g, 1 Esslöffel ca. 2 g) mit kochendem Wasser übergossen und nach 10 Minuten durch ein Teesieb gegeben. Für die äußerliche Anwendung wird meist eine 3prozentige Abkochung hergestellt. Bei Verwendung als Badezusatz werden 50 g auf 10 L Wasser gegeben. Gleichfalls üblich ist die Verwendung von Salben, die täglich ein- bis zweimal aufgetragen werden.

Sonstige Verwendung: Über die oben genannten Anwendungsgebiete hinausgehend wird Römische Kamille in der Pharmazie auch als Schmuckdroge in Teemischungen unterschiedlicher Art verwendet. In der Kosmetik nutzt man die Droge zur Haarpflege, zum Aufhellen nachgedunkelter blonder, als Zusatz zu Haarwaschmitteln sowie gemischt mit Kaolin gemischt für Schönheitsmasken. Das aus der Droge gewonnene ätherische Öl dient in der Likörindustrie zum Aromatisieren. Nicht wird die Pflanze selbst gerne als Zierpflanze in Gärten und Rabatten angepflanzt.


Bilder:

Ein typisches Merkmal der Römischen Kamille und sicheres Unterscheidungsmerkmal von der Echten Kamille ist das Vorhandensein zahlreicher Zungenblüten, die in mehreren Reihen angeordnet sind. Hinsichtlich dieses Merkmals bestehen innerhalb der Art erhebliche Unterschiede zwischen Wild- und Zuchtformen. Während die Wildformen durch das Vorhandensein zahlreicher weiblicher, weißer, zungenförmiger Randblüten sowie durch zahlreiche zwittrige, gelb gefärbte Röhrenblüten gekennzeichnet sind, besitzen die zur Drogengewinnung herangezogenen Zuchtformen fast nur noch Zungenblüten.


Literatur: Europäisches Arzneibuch, 4. Ausgabe, 3. Nachtrag sowie 5. Ausgabe, Grundwerk 2005; Hager-ROM 2003, Springer-Verlag; Jäger EJ, Werner KW, Rothmaler - Exkursionsflora von Deutschland, Band 4, Gefäßpflanzen: Kritischer Band, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin 2002; Hänsel R, Sticher O, Steinegger E, Pharmakognosie - Phytopharmazie, Springer Verlag, Berlin Heidelberg 1999; Marzell H, Wörterbuch der Deutschen Pflanzennamen, Verlag S. Hirzel, Leipzig 1943; Monografie der Kommission E, Bundes-Anzeiger Nr. 221 vom 25.11.1993; Teuscher E, Melzig MF, Lindequist U, Biogene Arzneimittel, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2004; USDA, ARS, National Genetic Resources Program. Germplasm Resources Information Network - (GRIN) [Online Database]; Wichtl M (Hrsg.), Teedrogen und Phytopharmaka, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002.


© Thomas Schöpke